Es ist eine der denkwürdigsten Gaga-Szenen, die Schalke je erlebt hat!
Die irren S04-Hauptversammlungen
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Eines Tages reichte es dem Gastwirt Meier aus Gelsenkirchen auf der königsblauen Jahreshauptversammlung. Er hatte für sich beschlossen, es wäre nun endlich einmal genug gesagt worden. Und dann wankte er gewichtigen Schrittes die Meter hinauf zur Bühne, ging gemächlich zum Mikrofon, hielt kurz inne und gab anschließend einen ohrenbetäubenden Rülpser zum Besten. Der Saal tobte!
Und tatsächlich kam es kurz darauf endlich zum lang herbeigesehnten Tagesordnungspunkt "Wahlen". Nicht wenige Schalker sind ganz froh, dass die diesjährige, brisante Mitgliederversammlung am 13. Juni nur digital stattfinden wird. Die Liste der legendären Jahreshauptversammlungen ist schließlich schon lang genug.
Wie Siebert die Mitglieder auf seine Seite brachte
Einer, der stets wusste, wie man die königsblaue Gemeinde hinter sich vereinen konnte, war der ehemalige Präsident Günter "Oskar" Siebert. Wenn sich die Meute gegenseitig so richtig schön in Rage gebracht hatte, ging es für den siebenfachen Familienvater erst los.
Wie beispielsweise im Februar 1976, als man Siebert an "sein Würstchen", genauer gesagt an sein Monopol, die heißen Fleischstängel im Gelsenkirchener Parkstadion exklusiv an den Mann zu bringen, wollte.
Schon länger hielt sich hartnäckig das von der Opposition gestreute Gerücht, dass der ehemalige Meisterspieler des S04 die eine oder andere schnelle Mark mehr in sein persönliches Säcklein packte, als es vertraglich mit ihm vereinbart war.
Doch die Attacken seines Hauptkonkurrenten, dem hypernervösen Bäckermeisters Josef Wittinghofer, konterte Siebert unter dem tosenden Gelächter der Mitglieder locker mit einem lässigen Spruch: "Was wollt ihr? Ich komm mir langsam so vor, als ob wir hier ein Würstchenverein wären!"
"Mindestens 60 Prozent brauche ich"
Und so stellte der smarte Präsident die Veranstaltung im Hans-Sachs-Haus kurzerhand komplett auf den Kopf. Statt Revolte und Abwahl untermauerten spontane Klatschmärsche die Siegesposen Sieberts.
Und auch die letzte Beschimpfung des Tages als "Zirkusdirektor" lächelte Siebert entspannt weg: "Zirkusdirektor? Ja, da bin ich stolz drauf, weil mein Zirkus immer ausverkauft ist …" Sieberts Wiederwahl war anschließend natürlich nur noch Formsache.
Elf Jahre später fand dann im Februar 1987 das Spektakel unter umgekehrten Voraussetzungen statt. Der ehemalige Manager Rolf Rüssmann duellierte sich mit dem Präsidentschaftsanwärter Oskar Siebert auf Messers Schneide. Und tatsächlich entschied der damalige, braungebrannte Kneipenwirt von der Rentnerinsel Gran Canaria nur mit der knappen Mehrheit von 37 Stimmen vor seinem Gegenkandidaten Volker Stuckmann die Wahl für sich.
Dass er dafür im Stil eines Konrad Adenauers ("Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern") hinterher großzügig seine eigenen Vorgaben ("Mindestens 60 Prozent brauche ich") ignorieren musste, war da schon nicht mehr so wichtig. Schließlich reichten ihm auch die knapp über 50 Prozent, um trotzig in den aufgeheizten königsblauen Hexenkessel zu brüllen: "Ich, euer Oskar Siebert, nehme die Wahl an!"
Doch Schalke wäre nicht Schalke, wenn da nicht noch was (nach-)gekommen wäre. Denn wenige Tage nach der Jahreshauptversammlung riss ein Hund namens Hasso beim Spielen mit seinem Herrchen auf dem Gelände der Gelsenkirchener Mülldeponie herumliegende Säcke wahllos auf.
Berufssoldat Zylke sorgt für einen riesigen Eklat
Und was erblickte da auf wundersame Weise und völlig unbeabsichtigt noch einmal das Licht dieser Welt? Neben abgenutzten Pilstulpen und halben Fleischfrikadellen quollen aus den aufgerissenen Müllsäcken auch nicht gezählte Abstimmungskarten heraus. Ein Skandal – sollte man denken. Doch nicht auf Schalke. Schnell kaufte man neue und dieses Mal deutlich reißfestere Säcke und packte die Kärtchen auf Nimmerwiedersehen zurück auf die Müllkippe.
Und dann kam schließlich der 21. November 1988 – und ein Mann namens Michael Zylka. Eigentlich hatten sie an diesem Tag alles richtig gemacht auf Schalke. In der gesamten Halle gab es während der laufenden Mitgliederversammlung ausschließlich alkoholfreies Bier.
Und doch sorgte dieser "Mister Unbekannt" ("Da habe ich gedacht, gehst du einfach mal hin und stellst dich vor") für einen riesigen Eklat. Denn bereits 72 Stunden nach seiner Wahl musste Zylka seinen Posten als Präsident des FC Schalke 04 wieder niederlegen. Doch was war geschehen?
Zylka, der sich auf der Jahreshauptversammlung als Betriebswirt vorgestellt hatte, war tatsächlich Berufssoldat und Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums im sogenannten sicherheitsrelevanten Bereich. Das war natürlich ein gefundenes Fressen für die alarmierte Boulevardpresse.
Sie nannte den neuen Präsidenten fortan nur noch einen "Geheimdienstler" und fragte süffisant nach, ob der neue prominente Posten beim FC Schalke 04 eine wirklich so geglückte Tarnung im Kalten Krieg sei. War er natürlich nicht – und deshalb hieß es kurz darauf auch: Neuwahlen.
Niemand ahnte, welch ereignisreiche Zeiten bevorstanden
Und dort trat neben dem Rentner Hans Bitzkowski, der sein Sparschwein plündern und Schalke eine viertel Million Mark – "also 250.000" (wie er noch einmal ausdrücklich erklärte) – schenken wollte und dem verhinderten Büttenredner Dieter Koslowsky (der hieß tatsächlich so), der eine Pointe nach der nächsten erzählte, auch ein Besitzer mehrerer Krampfadernkliniken an.
Und tatsächlich gewann ausgerechnet dieser fesche Herr aus Düsseldorf die Wahl. Doch noch ahnte damals niemand, welch ereignisreiche Zeiten den Königsblauen nun bevorstanden. Denn dieser Mann war niemand Geringeres als der später in die Geschichte als "Sonnenkönig" eingegangene Günter Eichberg!
Ben Redelings wurde 1975 im Flutlichtschatten des Bochumer Ruhrstadions geboren und ist Experte für die unterhaltsamen Momente des Fußballs. Das Buch zur SPORT1-Serie ist ein gern gelesener Bestseller: "Best of Bundesliga: Die lustigsten Legenden des deutschen Fußballs". Als SPORT1-Kolumnist schreibt Ben regelmäßig über die "Legenden des Fußballs" und "Best of Bundesliga".
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