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"Wir haben damit über 70 Millionen Euro verloren": Schockierende Lage des Bayern-Gegners

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Schockierende Lage des FCB-Gegners

Der FC Bayern trifft in der Champions League auf Schachtar Donezk. Im SPORT1-Interview spricht Donezk-Boss Sergiy Palkin über den surrealen Alltag der Spieler in Zeiten des Krieges, über die Herausforderungen des Klubs - und verrät, wieso sie trotz allem nicht aufgeben.
Der FC Bayern muss bei seinem Champions-League-Auswärtsspiel gegen Schachtar Donezk auf Schalke wegen enorm hoher Ticketpreise offenbar auf viele Fans verzichten. Werden die Bayern-Fans abgezockt?
Manfred Sedlbauer
Der FC Bayern trifft in der Champions League auf Schachtar Donezk. Im SPORT1-Interview spricht Donezk-Boss Sergiy Palkin über den surrealen Alltag der Spieler in Zeiten des Krieges, über die Herausforderungen des Klubs - und verrät, wieso sie trotz allem nicht aufgeben.

Der Ton von Sergiy Palkin ist ernst. Wenn der Donezk-Boss über Raketen- und Drohnenangriffe spricht, über den Alltag in der Ukraine, klingt alles befremdlich, fast surreal.

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Nur wenn es um den Sport geht - um Geschichten von früher und über Ziele und Visionen -, blüht er auf, lacht und gibt sich positiv.

Sergiy Palkin ist Generaldirektor von Schachtar Donezk
Sergiy Palkin ist Generaldirektor von Schachtar Donezk

Für den 50-Jährigen ist der Krieg trauriger Alltag geworden. Palkin ist seit über 20 Jahren im Verein. Schachtar Donezk ist ein großer Teil seines Lebens. Der Klub ist mit zehn Meistertiteln, elf Pokalsiegen und dem Gewinn des UEFA-Cups (2009) hinter Dynamo Kiew der zweiterfolgreichste Fußballverein des Landes.

Donezk-Boss glaubt an Chance gegen Bayern

In der vergangenen Saison holten die Ukrainer das Double aus Meisterschaft und Pokal. Aktuell sind sie in der heimischen Liga auf Platz drei, in der Champions League steht Donezk mit vier Punkten aus fünf Spielen im unteren Drittel.

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Im exklusiven Gespräch mit SPORT1 gibt Palkin Einblicke in sein Seelenleben, beschreibt den nicht vorhandenen Alltag in Zeiten des Krieges, die immensen logistischen Herausforderungen - und wieso Fußballspielen trotz aller Widrigkeiten so wichtig ist.

Auch wenn der Sport in der Ukraine längst zur Nebensache geworden ist, sieht er seinen Verein vor dem Duell gegen den FC Bayern (Dienstag, ab 21.00 Uhr im LIVETICKER) nicht chancenlos.

Donezk-Boss schwärmt von Deutschland

SPORT1: Herr Palkin, am Dienstagabend empfängt Ihr Verein den FC Bayern in Gelsenkirchen. Können sich die Spieler, die Mitarbeiter des Vereins und auch die Familien im Angesicht des Krieges überhaupt auf den Sport konzentrieren?

Sergiy Palkin: Es ist wahnsinnig schwierig. Aber wir versuchen das Unmögliche möglich zu machen. Das ist das, was unsere Spieler antreibt. Aber klar: Leicht ist es nicht.

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SPORT1: Richtige Heimspiele in Donezk gibt es für Ihr Team ja schon lange nicht mehr. Seit der Annexion der Krim (2014) tragen Sie Ihre Heimspiele in Kiew aus. International haben Sie vergangenes Jahr in Hamburg gespielt, diese Saison spielen Sie in Gelsenkirchen. Fühlen Sie sich dort wohl?

Palkin: Wir haben ein richtig gutes Verhältnis zu den Leuten in Deutschland. Das war in Hamburg schon großartig und das ist es jetzt auch auf Schalke. Da sind überall richtige Fußballfans und die Stadien sind voll – egal, gegen welchen Gegner wir spielen. Das macht richtig viel Spaß.

„Mental und physisch ist das hart“

SPORT1: Und trotzdem spielen Sie immer fernab der Heimat. Sogar die Spiele in der heimischen Liga und im Pokal tragen Sie in Kiew aus.

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Palkin: Egal, wo wir am Ende spielen - wir können gar nicht so gut sein, wie wir es gerne wären. Allein die ganze Logistik ist Wahnsinn. Manchmal brauchen wir ein bis zwei Tage, um an unserem Spielort anzukommen. Mental und physisch ist das hart. Aber wir leben nun mal in dieser Welt. Dennoch sind wir für viele Menschen eine Inspiration. Seit mittlerweile zehn Jahren spielen wir fern von unserer Heimat, leben seit zehn Jahren nicht mehr dort. Unser Klub und unsere Spieler symbolisieren die gesamte ukrainische Bevölkerung: Trotz aller Widrigkeiten zeigen wir den Leuten in unserer Heimat, dass wir niemals aufgeben. Wir wollen trotz allem gute Ergebnisse erzielen und guten Fußball spielen.

SPORT1: Sie haben die Logistik angesprochen: Wie lange dauert die Anreise nach Gelsenkirchen? Die Bayern bewältigen sie vermutlich in wenigen Stunden.

Palkin: Erst einmal müssen wir mit dem Bus von Kiew, wo wir aktuell sind, nach Lwiw. Das dauert ungefähr sieben bis acht Stunden. Dann verbringen wir dort eine Nacht im Hotel und fahren im Anschluss rund drei bis vier Stunden weiter nach Rzeszów in Polen. Dann nehmen wir das Flugzeug in Richtung Düsseldorf. Das dauert in etwa zwei bis drei Stunden. Danach müssen wir noch ein bis zwei Stunden nach Gelsenkirchen mit dem Bus fahren. Die reine Reisezeit beträgt wohl bis zu 20 Stunden - Hotelübernachtungen und sonstige Zwischenstopps sind da noch gar nicht mit einberechnet. Kein Klub in Europa muss so viel reisen. Wir könnten damit einmal um die Welt fliegen.

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„Wir haben jede Nacht Drohnen- und Raketenangriffe“

SPORT1: Und trotzdem haben Sie sportlichen Druck, oder nicht?

Palkin: Jeder erwartet von uns Ergebnisse. Dabei vergessen aber viele, was dahintersteckt. Die mentale und physische Belastung ist enorm. Außerdem kostet es uns deutlich mehr als andere Mannschaften. In jeglicher Hinsicht: Für den Fußball zahlen wir einen enorm hohen Preis.

SPORT1: Wie sieht denn Ihr Alltag oder auch der Alltag Ihrer Spieler in der Ukraine aus?

Palkin: Wir haben jede Nacht Drohnen- und Raketenangriffe aus Russland. In manchen Nächten schlafen wir überhaupt nicht, weil wir ihn Schutzbunker müssen. Wir leben in keinem normalen Alltag. Weder die Spieler noch die Familien der Spieler. Wir müssen und wollen für unsere Spieler Verantwortung übernehmen. Wir müssen ihnen Sicherheit garantieren, so gut es geht. Zu 100 Prozent können wir es nicht garantieren, weil es Krieg ist. Du kannst nicht vorhersagen, was morgen passiert. Jeden Morgen hast du 50, 100, bis zu 150 Drohnen- und Raketenangriffe. Es ist hart, in dieser Umgebung zu leben. Die Reihenfolge lautet: Schutz und Sicherheit und dann kommt irgendwann der Fußball.

SPORT1: Gab es da zuletzt auch mal einen besonders gefährlichen Moment?

Palkin: Vor einigen Monaten hatten wir ein Auswärtsspiel in Kryvyi Rig im Osten der Ukraine. Unser Hotel, in dem wir schlafen sollten, wurde kurz vor unserer Ankunft von Raketen getroffen und zerstört. Insgesamt gab es vier Tote. Es war schwierig, die Spieler, Betreuer und auch die Familien davon zu überzeugen, trotzdem hinzureisen. Am Ende sind wir aber angetreten.

SPORT1: War vor Ort denn dann alles sicher?

Palkin: Das Spiel konnte wegen eines weiteren Raketenalarms nicht zu Ende gespielt werden. Wir konnten es bis heute nicht. Ich bin dennoch sehr stolz auf unsere Spieler, dass sie unter diesen Bedingungen arbeiten. Es ist gefährlich, aber es zeigt den Menschen um uns herum unseren unzerstörbaren Willen - und dass wir niemals aufgeben. Das gibt den Ukrainern Hoffnung. Das ist unsere Bestimmung.

„Menschen können sich an alles gewöhnen“

SPORT1: Sie sind seit über 20 Jahre im Verein. Schachtar Donezk Teil ist ein großer Teil Ihres Lebens. Meinen Sie, wenn Sie Ihren Spielern in die Augen gucken, dass Sie sich jemals an diese Umstände gewöhnen können?

Palkin: Das Problem ist: Menschen können sich an alles gewöhnen. Wir haben uns daran gewöhnt, auch wenn man das eigentlich nicht kann. Jeden Tag sterben viele Menschen, jeden Tag gibt es Raketenangriffe, ständig wird unsere Infrastruktur und Energieversorgung zerstört. Wir haben dieses Leben angenommen. Aber es ist definitiv anders als im Rest von Europa: Du kannst nichts planen. Nicht für nächstes Jahr oder nächste Saison. Du kannst nicht mal für ein Monat planen.

SPORT1: Kurz nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine im Februar 2022 hat die FIFA eine Sonderregelung verkündet: Ausländische Fußballspieler und Trainer konnten ihre Verträge bei russischen oder ukrainischen Klubs kündigen und ablösefrei wechseln. Wie hart war das für Sie?

Palkin: Wir haben damit über 70 Millionen Euro verloren. Die FIFA behauptet immer, wir alle wären eine Fußballfamilie. Aber uns hat keiner unterstützt. Niemand hat sich unserer Probleme angenommen, wir wurden im Stich gelassen. Niemand hat gefragt, wie er uns helfen kann. Wir haben so oft an die FIFA-Tür geklopft, wollten Kontakt aufnehmen. Eine Antwort haben wir aber nie bekommen. Am Ende haben nur die Agenturen und Berater gewonnen. Die nutzten diese Situation aus, um Spieler von A nach B zu transferieren und überall mitzuverdienen. Anstatt dass wir das Geld bekommen haben, haben die es sich eingesteckt. Das ist auch der Grund, warum wir fast nur noch Spieler ausleihen.

SPORT1: Wie schwierig ist es denn, Spieler von einem Transfer zu Donezk zu überzeugen?

Palkin: Sehr schwierig. Wir versuchen den Spielern in Gesprächen das Gefühl zu geben, dass wir alles für ihre Sicherheit tun. Und Sicherheit und Schutz haben bei uns oberste Priorität. Dennoch können wir es nicht zu 100 Prozent garantieren. Die Überzeugungsarbeit ist sehr mühsam. Aber wir machen weiter.

So denkt Palkin über Mudryk

SPORT1: Ein Spieler, den Sie verkauft haben, ist Mykhaylo Mudryk - eines der größten Talente im ukrainischen Fußball, bei Ihnen im Verein ausgebildet. Mudryk wechselte im Januar 2023 für 70 Millionen Euro zum FC Chelsea. Vor allem in dieser Spielzeit hinkt er den Erwartungen deutlich hinterher. Haben Sie noch Kontakt?

Palkin: Wir haben ein richtig gutes Verhältnis und viel Kontakt. Er ist sehr professionell, er gibt immer sein Bestes. Er bringt alles mit, um sich bei Chelsea durchzusetzen. Ich sehe es so: Wenn du nicht mit einem Ferrari klarkommst, solltest du dir vielleicht ein normales Auto kaufen (lacht).

Mykhaylo Mudryk (l.) spielt inzwischen beim FC Chelsea
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SPORT1: Wer kann in London denn keinen Ferrari steuern?

Palkin: Ich meine damit gar keine speziellen Namen, sondern den Verein allgemein. Aber genau das ist auch Teil unserer Philosophie. Wir stecken viel Arbeit in die Akademie, um die jungen ukrainischen Spieler auszubilden und dann weiterzuverkaufen.

SPORT1: In Ihrem Kader sind überwiegend ukrainische Spieler. Außerdem spielen sieben Brasilianer bei Ihnen. Woran liegt das?

Palkin: Das ist Teil unserer Strategie. Wir kennen den brasilianischen Markt sehr gut, das ist unser Markt. Seit über 20 Jahren sind wir hier aktiv. Außerdem lieben wir die Art und Weise, wie Brasilianer Fußball spielen: Attraktiv und ansehnlich. Das wollen wir auch.

Tymoshchuk? „Traurig darüber, was passiert ist“

SPORT1: Wie Douglas Costa zum Beispiel. Ist er so etwas wie ein Musterbeispiel für Ihren Weg?

Palkin: Auf jeden Fall. Wir haben ihn damals für verhältnismäßig wenig Geld zu uns geholt und dann für 30 Millionen Euro an Bayern München verkauft. Wir hatten aber auch sehr gute andere Spieler.

SPORT1: Ein anderer Spieler, der sowohl bei Ihnen in Donezk als auch bei den Bayern in München spielte, ist Anatoliy Tymoshchuk. Gab es noch mal Kontakt zwischen Ihnen?

Palkin: Nein, ich habe überhaupt keinen Kontakt zu ihm. Ich bin sehr traurig darüber, was passiert ist und wie er sich verhält. Aber das ist seine Geschichte, eine schlechte Geschichte. Ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

SPORT1: Besteht denn die Möglichkeit, dass er irgendwann wieder zur Vernunft kommt und zu Donezk zurückkehrt?

Palkin: Nein! Es ist nicht möglich, dass er jemals zurückkommt.

Palkin verrät größten Traum

SPORT1: Was sind Ihre sportlichen Ziele für diese Saison?

Palkin: In der Liga wollen wir natürlich wieder Meister werden. Auch wenn das schwer werden könnte. Wir dürfen uns keine großen Ausrutscher mehr erlauben. Und in der Champions League ist unser Ziel, in die K.O.-Phase einzuziehen.

SPORT1: Dafür dürfte ein Sieg gegen die Bayern nicht schaden. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?

Palkin: Wir haben immer Chancen. Das ist Fußball. Das ist es, was wir am Fußball so lieben. Niemand kann vorhersagen, wie es ausgehen wird. Wir können gegen jedes Team gewinnen. Wir müssen einfach das Unmögliche möglich machen.

SPORT1: Und was ist Ihr größter Traum?

Palking: Diesen Krieg so schnell wie möglich zu beenden.