Es war die Marschroute, für die Julian Nagelsmann den größten Applaus erhielt. Nach den verheerenden Niederlagen gegen die Türkei und in Österreich im Herbst 2023 erkor der Bundestrainer den jeweils aktuellen Leistungsstand der möglichen Nationalspieler zum wichtigsten Kriterium.
Warum Nagelsmann seine einst eiserne Regel bricht
Warum Nagelsmann sich untreu wird
Die Folge: Auf dem Platz standen ab März 2024 stets Akteure, die gerade ein Hoch erlebten. Erfolge der Vergangenheit zählten nicht mehr, selbst Platzhirsche wie Leon Goretzka waren plötzlich außenvor. Dieser Nagelsmannsche Grundsatz führte seitdem zu zahlreichen Siegen – lediglich das EM-Viertelfinale gegen Spanien ging verloren. Und noch wichtiger: Die Fans können sich wieder mit den Spielern identifizieren.
Spieler danken Nagelsmann
Doch jetzt ist offenkundig die Zeit gekommen, in der der Bundestrainer von seiner eisernen Regel abweicht. Deniz Undav steht trotz seiner Leistungsdelle im Kader, auch Niclas Füllkrug war aktuell aufgrund der vergangenen Saison nicht zwingend ein Kandidat. Letzterer weiß die Geste daher sehr zu schätzen.
„Man muss die Situation realistisch einschätzen. Der Bundestrainer hat mich bestimmt nicht eingeladen, weil ich die beste Saison meiner Karriere gespielt habe“, sagte Füllkrug zuletzt und drückte dem Coach seine Dankbarkeit aus.
Doch was steckt hinter der neuen Marschroute? Verrät Nagelsmann sein eigenes Prinzip, das ihm so viel Erfolg und Respekt einbrachte? Nicht ganz. Denn der Bundestrainer hat gute Gründe, sein Vorgehen anzupassen. Denn auch wenn das Final Four in der Nations League aktuell im Vordergrund steht, schielt er bereits mit einem Auge auf die WM im kommenden Jahr. Bis Sommer 2026 soll der Kader weiter (zusammen-)wachsen.
„Das ist sicherlich auch ein Grund“, sagte Nagelsmann am Dienstagabend auf Nachfrage von SPORT1 und erklärte weiter, dass er seine Nominierungen mittlerweile auch mit einem Stück Dankbarkeit vornimmt: „Wir haben im Trainerteam beschlossen, dass wir die Nations League auch ein bisschen rund machen wollen mit Spielern, die schon lange dabei waren und auch ihren Teil dazu beigetragen haben, dass wir jetzt im Final Four sind.“
Nagelsmann ist reifer geworden
Wie jeder Trainer beginnt auch Nagelsmann langsam damit, Leistungen aus der Vergangenheit einen gewissen Stellenwert beizumessen. Für die Weltmeisterschaft 2026 braucht er Spieler, die angstfrei in die neue Saison gehen und nicht bei jedem Fehler oder jeder kleinen Durststrecke das Aus in der DFB-Elf fürchten müssen.
Dass Nagelsmanns Grundvertrauen gute Leistungen und Selbstbewusstsein fördert, erkennt man bestens an Füllkrug. Dem bescheinigte der Bundestrainer gute Trainingsleistungen. Auch der lange verletzte Marc-Andre ter Stegen zeigte sich froh darüber, dass an seinem Status als Nummer 1 nicht gerüttelt wird.
Und: Nagelsmann geht es auch um den Einfluss der Protagonisten, die nicht auf dem Platz stehen. Namentlich nannte er hier Robert Andrich. „Der hätte von der Spielzeit her jetzt nicht zwingend dabei sein müssen. Er hat trotzdem einen großen Einfluss auf die Gruppe. Auch außerhalb des Platzes, aber eben auch auf dem Platz, wenn er spielt.“
Kritiker könnten monieren, dass Nagelsmann seine eigenen Prinzipien verrät, doch die Wahrheit liegt eindeutig woanders: Der 37-Jährige ist als Trainer weiter gereift – und hat bereits den WM-Titel im Kopf.