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Genau sie hat Fußball-Deutschland jetzt gebraucht

Plötzlich im Rampenlicht

Carlotta Wamser wird ungewollt Profiteurin der bitteren Verletzung von DFB-Kapitänin Giulia Gwinn. Nun muss die vielseitige DFB-Spielerin plötzlich große Fußstapfen ausfüllen.
Nationalspielerin Carlotta Wamser überzeugt im deutschen Auftaktspiel der Frauen-EM nach ihrer Einwechslung für Giulia Gwinn. Bundestrainer Christian Wück sieht sich bestätigt.
Carlotta Wamser wird ungewollt Profiteurin der bitteren Verletzung von DFB-Kapitänin Giulia Gwinn. Nun muss die vielseitige DFB-Spielerin plötzlich große Fußstapfen ausfüllen.

Bittersüß beschreibt den Moment, als Carlotta Wamser klar wurde, dass sie in wenigen Augenblicken ihr EM-Debüt geben darf, wohl am besten.

Einerseits würde in Kürze ein großer Fußballtraum in Erfüllung gehen, andererseits musste sie gerade mitansehen, wie Deutschlands Kapitänin Giulia Gwinn sich schwer am Knie verletzte.

Daher wollte bei ihr nicht ganz die große Freude aufkommen. „Man kommt nicht gerne rein, wenn sich eine Mitspielerin verletzt“, sagte Wamser nach dem 2:0-Auftakterfolg gegen Polen in der ARD. Inzwischen ist sogar klar, dass Gwinn für die komplette EM ausfallen wird.

Nach Gwinn-Drama: Wamser springt in die Bresche

Ein Schock für die DFB-Frauen, denn die Kapitänin ist nicht nur als Führungspersönlichkeit, sondern auch sportlich kaum zu ersetzen. Doch Wamser deutete nach ihrer Einwechslung an, dass sie das Zeug dazu hat, eine der großen EM-Überraschungen zu werden.

„Ich habe versucht, das Beste daraus zu machen“, spielte Bayer Leverkusens Neuzugang Wamser ihren starken Auftritt fast herunter.

Im Spiel hatte sie zuvor entscheidenden Anteil daran, dass Deutschland nach zähem Beginn doch noch auf die Siegerstraße einbog. Zunächst legte die 21-Jährige Jule Brand den Ball zur 1:0-Führung auf, wenig später leitete sie nach einem gekonnten Dribbling jenen Angriff ein, der zum 2:0 durch Lea Schüller führte.

„Faszinierend gut gemacht“: Viel Lob nach EM-Debüt

Dass Wamser besonders viel Verständnis dafür mitbringt, welche Bälle Stürmerinnen brauchen, ist dabei kein Zufall. Denn bei ihren bisherigen Klubs wie Eintracht Frankfurt lief die gebürtige Herforderin meist als Angreiferin auf.

Ihre ehemalige SGE-Teamkollegin Laura Freigang erklärte auf SPORT1-Nachfrage: „Dadurch, dass sie lange Stürmerin war oder das auch noch ist, hat sie auch das Auge nach vorne. Das hat man ja heute auch gesehen mit der Vorlage.“

Und geht es nach Freigang, wird das „unfassbares Energiebündel“ namens Wamser in Zukunft häufiger als Rechtsverteidigerin auflaufen: „Auf magische Weise verbindet diese Position irgendwie alle ihre Stärken. Sie hat nach vorne Dampf, gewinnt 1-gegen-1-Duelle aber auch nach hinten und ist unfassbar schnell.“

Viel Lob für die Debütantin, dem sich auch Torhüterin Ann-Kathrin Berger anschloss: „Carlotta hat das einfach faszinierend gut gemacht für ihr erstes Spiel bei einer EM. Sie wurde einfach ins eiskalte Wasser reingeschmissen.“

Von Eintracht Frankfurt zur Nationalmannschaft

Dass Wamser einen kühlen Kopf behielt, ist für Sportdirektorin Nia Künzer keine Überraschung, denn sie beschreibt die Nationalspielerin nicht nur als „unglaublich natürlich, spontan und witzig“, sondern vor allem auch als Person, die „sich nicht viele Gedanken“ macht.

Wamser entpuppte sich als genau die Spielerin, die ihre Mannschaft und Fußball-Deutschland nach dem Gwinn-Schock gebraucht hatte - die Unbekümmertheit, mit der sie ihren Job erfüllte, hat auch zu ihrem beinahe kometenhaften Aufstieg beigetragen.

Noch vor gut einem Monat hatten Wamser für die EM nur wenige auf der Rechnung. Bei Eintracht Frankfurt kam sie in der abgelaufenen Saison fast ausschließlich als Joker zum Einsatz, ehe sie sich gegen Saisonende auch bei der SGE auf der Rechtsaußen-Position durchsetzte.

Die gestiegene Spielzeit führte wohl dazu, dass auch Bundestrainer Christian Wück auf Wamser aufmerksam wurde und sie im Juni ihr Kurz-Debüt für die A-Nationalmannschaft geben durfte.

Wücks Anruf verpasst: „Mutter ist nicht rangegangen“

Wücks größte Schwierigkeiten hatten zuvor daraus bestanden, Wamser ihre Nominierung mitzuteilen.

„Christian hatte nur die Nummer meiner Mutter und hat sie dann angerufen. Meine Mutter ist, glaube ich, dreimal nicht drangegangen“, erinnerte sie sich beim kicker. Doch Wück blieb hartnäckig und so erreichte Wamser die frohe Kunde am Ende doch noch.

Spätestens seit ihrem Auftritt gegen Polen dürfte kaum einer mehr zweifeln, dass Wück mit ihr die richtige Wahl traf.

„Ich glaube, diejenigen, die sich gewundert haben, dass sie mit in diesen Kader kommt, haben heute gesehen, warum“, urteilte der Bundestrainer nach der Partie gegen Polen.

Wück dürfte froh sein, dass sich das Wagnis, neben Gwinn keine weitere gelernte Rechtsverteidigerin zu nominieren, doch auszahlen könnte.

Nach Feuertaufe bei DFB-Frauen: Große Herausforderungen warten

Die 21-Jährige, die auch eine Grundausbildung bei der Bundeswehr absolvierte, steht erst am Anfang ihrer Laufbahn und hat noch mehr Luft nach oben. Speziell in diesem Alter ist Konstanz auf allerhöchstem Weltniveau alles andere als eine Selbstverständlichkeit – zumal sich nach dem Ausfall von Gwinn nun alle Augen auf sie richten.

Mit Dänemark und Schweden warten zudem zwei Mannschaften, die die deutsche Defensive noch mal vor andere Herausforderungen stellen werden als die Polinnen.

Bis zum Duell mit den Däninnen am Dienstag ist aber noch ein wenig Zeit. Für Wamser die Chance, das Erlebte zu verarbeiten - oder Zeit, um vielleicht doch nervös zu werden?

Teamkollegin Linda Dallmann zeigte diesbezüglich allerdings wenig Sorge: „Sie ist keine Spielerin, die sich da mega den Druck macht. […] Zu wissen, dass du ins Turnier startest und gleich ein paar Minuten bekommst, hat sie auf jeden Fall gut gemeistert. Jetzt ist es dann halt von Anfang an.“

Die Feuertaufe hat sie jedenfalls mit Bravour bestanden – doch für Carlotta Wamser geht der EM-Wahnsinn jetzt erst richtig los.