Hätte Kylian Mbappé auf dem Platz so überzeugend agiert wie später am Handy, würden die Diskussionen jetzt vielleicht anders laufen.
Mbappé-Krise: „Mental beeinflusst“
Es sei zwar „ein schwieriger Moment, aber die beste Zeit, die Situation zu ändern und zu zeigen, wer ich bin“, schrieb der Franzose, der sich seit Wochen nicht mit Ruhm bekleckert, am Mittwochabend in einer Instagram-Story.

Kurz zuvor hatte er mit Real Madrid in Bilbao (1:2) verloren. Der nächste Rückschlag für die Königlichen, für den der im Sommer als Heilsbringer gekommene Mbappé mitverantwortlich war.
Mbappé verschießt erneut
Beim Stand von 0:1 hatte Bilbaos Torhüter Julen Agirrezabala den deutschen Verteidiger Antonio Rüdiger im Strafraum zu Fall gebracht. Trotz seiner Formkrise und eines zuletzt verschossenen Elfmeters in Liverpool schnappte sich Mbappé erneut den Ball - scheiterte aber erneut kläglich.
Mit langsamen Schritten lief der 25-Jährige an und schoss von sich aus gesehen halbhoch in die rechte Ecke. Den schwachen Versuch parierte Agirrezabala problemlos. Mbappé schaute verdutzt ins Leere und ließ sich von Teamkollege Jude Bellingham trösten.
Denn Mbappé war wieder einmal unglücklich aufgetreten, hatte ein Abseitstor erzielt und freistehend eine Großchance verballert. Das passt zum diffusen Gesamtbild, das er bislang in Madrid abgibt.
Mbappé „hat schnell abgebaut“
Wer sich vom Ex-Weltmeister unentwegt Wunderdinge erhofft hatte, dürfte enttäuscht sein. Stattdessen scheint der Superstar weder mit seinen Mitspielern noch mit den Real-Fans so richtig warmzuwerden. Woran das liegt?
„Das Spiel gegen Bilbao war eine Fortsetzung der zurückliegenden Leistungen“, erklärt Fernando Tavero, Reporter der spanischen Sportzeitung AS, im Gespräch mit SPORT1.
Zu Beginn der Saison sei er „wie eine Rakete“ gestartet: „Die Umstellung in Madrid war nicht das Problem. Aber dann hat er - wie viele seiner Teamkollegen - schnell abgebaut. Spätestens seit dem Clásico gegen Barcelona, als er sechs-, siebenmal im Abseits stand, haben wir einen ganz anderen Mbappé gesehen. Das scheint ihn mental beeinflusst zu haben.“
Ende Oktober hatten die Katalanen den Erzrivalen mit 4:0 düpiert. Mbappés Fehlschüsse gegen Bilbao und Liverpool beweisen nur, wie gering sein Selbstvertrauen seitdem ist.
Mehr Geduld für Mbappé
Zehn Tore und zwei Vorlagen in 20 Spielen für die Madrilenen sind zwar keine schlechte Ausbeute, doch viele hatten sich von einem der größten Stars des Weltfußballs mehr erhofft. Den Mbappé-Transfer bereits als Fehler abzutun, wäre laut Tavero aber der falsche Ansatz. Er fordert mehr Geduld.
„Natürlich habe ich mehr von ihm erwartet und verstehe die Leute, die ihn jetzt an den Pranger stellen. Er spielt im Moment nicht wie einer der besten Spieler der Welt, sondern eher wie ein durchschnittlicher Stürmer. Aber er wird wieder in Schwung kommen“, ist sich Tavero sicher.
Der Reporter erinnert daran, dass in Madrid schon andere Stars eine gewisse Anlaufzeit brauchten. „Selbst bei Zinédine Zidane, Luka Modric oder Cristiano Ronaldo hat nicht alles vom ersten Tag an funktioniert. Deshalb denke ich, dass es auch bei Mbappé eine Frage der Zeit ist“, betont er.
Zugleich lässt Tavero auch die kritischen Stimmen nicht außer Acht, die dem Franzosen mangelnden Biss und Führungsqualitäten vorwerfen: „Wenn man sich Mbappés bisherige Auftritte anschaut, stimmt das. Er spielt nicht wie ein Leader - vor allem nicht in schwierigen Situationen. Ich bin sicher, dass Carlo Ancelotti mit ihm darüber gesprochen hat.“
Andererseits habe Real Mbappé nicht geholt, um stark zu verteidigen. „Er soll in erster Linie viele Tore schießen“, fügt Tavero hinzu, „aber manchmal kann ich mir auch Selbstvertrauen über die Defensive holen. Vinícius Júnior geht öfter ins Gegenpressing als er, vielleicht sollte er sich ab und zu ein Beispiel an ihm nehmen. Mbappé ist nicht der Typ Stürmer wie zum Beispiel Luis Suárez, der viel nach hinten arbeitet.“
Dennoch gelte: „Wenn Mbappé anfängt, Tore zu schießen, wird niemand mehr nach Defensivarbeit fragen.“
Mbappé „muss den Kopf freibekommen“
Was Tavero jedoch gefällt, ist die Tatsache, dass Mbappé nach seinem erneuten Tiefpunkt in Bilbao nicht nach Ausreden sucht.
„Er hat die volle Verantwortung übernommen. Das ist ungewöhnlich für einen so großen Spieler. Wenn er das tut, zeigt das, dass er besser als jeder andere weiß, wie weit er von dem Niveau entfernt ist, das sich alle vorstellen“, erklärt der Journalist. „Er ist nicht auf dem Niveau, auf dem er sein will. Körperlich ist er in guter Verfassung, weil er in letzter Zeit nicht mit der französischen Nationalmannschaft unterwegs war und sich immer etwas erholen konnte. Jetzt muss er einfach den Kopf freibekommen.“
Dass ihm das gelingen kann, zeige seine Reaktion. Auch in den oberen Etagen des Vereins, vor allem aber in der Kabine, sei Mbappés plötzlicher und entschlossener Sinneswandel sehr positiv aufgenommen worden.
Tavero ist überzeugt, dass der Neuzugang nur ein großes Spiel braucht, um zu erkennen, dass er seine unfassbaren Fähigkeiten nicht verloren hat. Am Samstag tritt er mit den Madrilenen in Girona an, drei Tage später in der Champions League gegen Atalant Bergamo. Vielleicht bricht der Bann schon dann.