Home>Paralympics>

Ex-Speerwerfer Mathias Mester über Paralympics, Mats Hummels und seine Karriere

Paralympics>

Ex-Speerwerfer Mathias Mester über Paralympics, Mats Hummels und seine Karriere

{}
{ "placement": "banner", "placementId": "banner" }
{ "placeholderType": "BANNER" }

Para-Star: Mein irres Leben mit 1,42 m

Im Sommer beendete Para-Leichtahtlet Mathias Mester seine Karriere. Im SPORT1-Interview spricht der 34-Jährige über irre Anekdoten, seinen Sport, ein Duell mit Mats Hummels und sein Buch.
Mathias Mester sorgte nicht nur als Goldmedaillengewinner bei den Paralympics für Aufsehen
Mathias Mester sorgte nicht nur als Goldmedaillengewinner bei den Paralympics für Aufsehen
© SPORT1-Grafik/Imago
Reinhard Franke
Reinhard Franke

Mathias Mester nennt sich der “Weltmester”.

{ "placeholderType": "MREC" }

Der 34-Jährige wurde in der Leichtathletik bekannt durch seine weiten Würfe mit dem Speer. Als mehrfacher Welt- und Europameister sowie Silbermedaillengewinner bei den Paralympics hat er in den vergangenen Jahren eine beeindruckende Karriere im Leistungssport hingelegt - und das mit einer Größe von nur 1,42 Metern.

Im Juni diesen Jahres beendete Mester seine Karriere. Im SPORT1-Interview spricht Mester über sein kürzlich veröffentlichtes Buch „Klein anfangen, groß rauskommen“ und was Mats Hummels damit zu tun hat, seine Karriere, seine Vorliebe für große Frauen und seine Zukunftspläne.

Mester: “Möchte Barrieren zum Fallen bringen”

SPORT1: Herr Mester, “Klein anfangen, groß rauskommen” - so heißt Ihr Buch, das kürzlich erschienen ist. Welche Intention haben Sie damit?

{ "placeholderType": "MREC" }

Mathias Mester: Ich möchte gerne mit meinem Buch motivieren, inspirieren und irgendwo Barrieren zum Fallen bringen in Richtung Inklusion. Zudem will ich einfach viel aus meinem Leben erzählen, hatte gute Zeiten, aber auch mal eine schlechte Phase, die dazugehört. So etwas hat jeder Mensch. Ich möchte als Vorbild und als Botschafter vorangehen und den Menschen zeigen, dass man auch mit einer Behinderung alles, was man will, schaffen kann.

Lesen Sie auch

SPORT1: Sie nennen sich “Weltmester”. Ganz schön ironisch-selbstbewusst, oder? (SERVICE: So laufen die Paralympics)

Mester: Mein Nachname ist nun mal Mester und ich bin schon mehrfacher Weltmeister geworden, deshalb “Weltmester”. Das ist inzwischen zu einer Marke geworden. Ich finde es cool. Da kann man sehr viel draus machen. Wenn man will, könnte man auch noch mit einem Hashtag weltmesterlich schreiben. Als ich die parantänischen Spiele ins Leben gerufen habe und in der Badewanne geschwommen bin, habe ich Bademester gemacht. Es lassen sich so viele Namen daraus machen.

{ "placeholderType": "MREC" }

Mester vor Speerwurf-Duell mit Hummels: „Bin gespannt“

SPORT1: Sie sind ein ehemaliger Leichtathlet der Wurfdisziplinen im Behindertensport der Startklasse F41. Ihre Paradedisziplin war der Speerwurf. Bei den Paralympischen Spielen 2008 in Peking holten Sie Silber im Kugelstoßen. 2006, 2009 und 2013 waren Sie IPC-Weltmeister im Speerwurf. Wie denken Sie an diese erfolgreiche Zeit zurück?

Mester: 2005 habe ich mit dem Sport angefangen, 2006 dann mit dem Leistungssport. Da wurde ich zum ersten Mal Weltmeister. In diesem Jahr wurde ich nochmal Europameister. Insgesamt habe ich sieben Weltmeister- und vier Europameister-Titel gewonnen, habe Silber bei den Paralympics gewonnen und mehrere Weltrekorde aufgestellt. Und aktuell halte ich noch den Europa-Rekord im Speerwurf. Also Mats, zieh’ dich warm an. Ich schaue mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück. Mit einem weinenden, denn wenn du einmal bei den Paralympics dabei warst, willst du immer wieder da hin. Wir standen in Peking vor 91.000 Menschen, in London vor 80.000. Da kamen große Gefühle hoch. Aber irgendwann musste Schluss sein. Und mit Gold konnte ich zufrieden abtreten. Mit dem lachenden Auge schaue ich auf das, was jetzt auf mich wartet. (PARALYMPICS: Das sind die deutschen Fahnenträger)

SPORT1: Sie sprechen Mats Hummels an: Er hat auch einen Beitrag in Ihrem Buch geschrieben. Wie ist Ihre Verbindung zueinander?

Mester: Ich durfte einmal beim Podcast von Mats, Jonas (Mats’ Bruder, d. Red) und Lukas mitmachen. Da gab es ein wirklich cooles Gespräch. Wir lernten uns bei dieser Gelegenheit kennen und die Verbindungen sind immer noch da. Wir schreiben uns über Whatsapp oder tauschen Sprachnachrichten aus. Wir können uns nicht so oft treffen, aber zwischen Mats und mir steht noch ein Speerwurf-Match aus. Mats hat angekündigt, mich zu schlagen. Ich bin gespannt. Ich fragte ihn, ob er sich vorstellen könne, einen Gast-Beitrag in meinem Buch zu schreiben, und er sagte sofort ja. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Mathias Mester ist "Sportler des Monats" Juni
Mathias Mester ist "Sportler des Monats" Juni

„Da bin ich schon an meine Grenzen gekommen“

SPORT1: Wie ist Ihr Leben mit 1,42 Metern?

Mester: Verrückt und toll. Mit Höhen und Tiefen. Ich habe in der Kindheit gemerkt, dass ich kleinwüchsig bin und habe dann meiner ersten großen Liebe einen Liebesbrief geschrieben. Damals habe ich noch geschrieben ‘Willst du mit mir gehen: ja, nein, vielleicht - bitte ankreuzen’. Dann kam der Brief zurück und es war ja und nein angekreuzt. Da stellte ich mir schon die Frage, was da los ist. Wenn dir dann das Mädchen sagt, dass ich es aufgrund meiner Größe nicht bin, dann brachte mich das natürlich schon zum Nachdenken. Da musste ich mich mit meiner Behinderung auseinandersetzen. Aber heute bin ich reifer geworden, größer kann ich nicht sagen (lacht) und ich weiß, dass das Mädchen damals einfach nur ehrlich war. Da bin ich schon an meine Grenzen gekommen. Heute denke ich über das Leben ganz anders nach und der Sport hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich jetzt bin. Ich bin selbstbewusst und stehe mitten im Leben.

SPORT1: Würden Sie gerne tauschen mit einem 1,80 Meter großen Menschen?

Mester: Ganz klar nein. Ich fühle mich wohl und bin so, wie ich bin. Ich habe so vieles kennenlernen dürfen und liebe mein Leben. Ich hoffe, dass es noch ganz lange so weitergeht und bin gespannt, wie mein neuer Lebensabschnitt ohne den Sport so weiter verläuft.

Mester legte sich ins Gepäckfach

SPORT1: Gibt es eine besonders lustige Anekdote, die Sie mit Ihrer Größe im Sport mal erlebt haben?

Mester: Ich habe in meinem Leben schon sehr viel erleben dürfen. Und natürlich waren auch schon echt lustige und spannende Dinge dabei. Eine Sache blieb mir im Gedächtnis, von der ich gar nicht wusste, dass ich damit so viel lostreten würde. Ich habe mich auf der Rückreise von den Paralympics 2016 oben in das Gepäckfach gelegt und habe dieses Foto dann bei Social Media gepostet. Als ich dann zum Gepäckband ging, hatte ich schon mehr Likes für dieses Bild als ich Follower hatte. Am Ende waren es 1,7 Millionen Aufrufe. Es war überall ein großes Thema und damit hatte ich den Startschuss gegeben zum Thema Inklusion. Jeder merkte, dass ich ein lustiger Typ bin. Viele dachten ‘Mensch, der ist ja genauso bekloppt wie ich’.

Wenn du hier klickst, siehst du Facebook-Inhalte und willigst ein, dass deine Daten zu den in der Datenschutzerklärung von Facebook dargestellten Zwecken verarbeitet werden. SPORT1 hat keinen Einfluss auf diese Datenverarbeitung. Du hast auch die Möglichkeit alle Social Widgets zu aktivieren. Hinweise zum Widerruf findest du hier.
IMMER AKZEPTIEREN
EINMAL AKZEPTIEREN

SPORT1: Sie konnten sich nie vorstellen, eine kleinwüchsige Frau zu haben, heißt es? Warum nicht?

Mester: Ich konnte mal die Erfahrung mit einer kleinwüchsigen Frau machen. Aber ich stehe nun mal auf größere Frauen. Vielleicht sind es die langen Beine. Meine Ex-Freundin war 1,82 Meter. Ich fühle mich mehr zu großen Frauen hingezogen.

SPORT1: Der 1. FC Kaiserslautern ist ihr Herzensklub? Wird Ihnen da gerade nicht Angst und Bange?

Mester: Der FCK ist seit 2012 in meinem Herzen. Ich bin froh, dass wir bis zu meinem Karriereende zusammengearbeitet haben. Es sind viele Freundschaften entstanden. Der Fußball wird dort gelebt. Wer einmal auf dem Betze war, der weiß, wie wahnsinnig das ist. Seit einigen Jahren ist es in der 3. Liga wieder etwas mau und gerade erst recht. Aber ich glaube fest an die Wende zum Guten. Wenn der Verein mal Hilfe braucht beim Thema Motivation, dann komme ich vorbei und falte die Jungs zusammen. Ich drücke dem Klub weiter fest die Daumen.

Mester der Größte auf dem Platz: “Ein irres Gefühl”

SPORT1: Sie haben im Fußball mal ein Kopfballtor erzielt. Wie kam es nur dazu?

Mester: Damals war ich nicht nur der Kleinste auf dem Platz, sondern auch einmal der Größte. Ein irres Gefühl. Meine Gegenspieler müssen heute nach zig Jahren noch Straftraining machen. Der Eckball kam rein, ich stand am zweiten Pfosten und der Ball flog über alle Köpfe hinweg. Ich stand goldrichtig und habe das Ding dann eingenickt. Es war sogar ein spielentscheidendes Tor zum 2:2. Das war natürlich ein unvergessener Moment.

Mathias Mester (m.) gewannn sieben Weltmeisterschaften
Mathias Mester (m.) gewannn sieben Weltmeisterschaften

Mester: “Mit Humor kommt man weit im Leben”

SPORT1: Woher haben Sie immer Ihr Selbstbewusstsein genommen, es als kleinwüchsiger Mensch im Sport weit zu bringen?

Mester: Ich bin ein selbstbewusster, lockerer, offener Typ und habe gelernt, mit meiner Behinderung umzugehen. Ich habe vieles meinen Eltern zu verdanken, die mich nie verhätschelt haben. Sie haben mich auch mal gegen die Wand laufen lassen und ich durfte meine Grenzen testen. Das war in der Kindheit sehr wichtig. Natürlich hat mich auch der Sport geprägt. Ich gehe sehr offensiv mit meiner Behinderung um und finde es wichtig, auch mal über mich selbst lachen zu können. Mit Humor kommt man einfach weit im Leben.

SPORT1: 2006, 2009 und 2013 waren Sie IPC-Weltmeister im Speerwurf. Wie kam eigentlich die Vorliebe für den Speerwurf?

Mester: Als ich 2005 mit der Leichtathletik in Berührung kam, war das unbeschreiblich. Ich warf den Speer erstmals und Steffi Nerius (ehemalige deutsche Leichtathletin und 2009 Weltmeisterin im Speerwurf, d. Red.) sagte ‘Yep, du hast ein Zucken im Arm und wir melden uns’. Eine Woche später begann dann die Story. Es war klar, dass es für mich als Kleinwüchsiger in der Leichtathletik nur die Wurfdisziplin gibt. Ich wollte alles machen, aber Speerwurf konnte ich am besten.

Mester nach Karriereende: “Ich bereue nichts”

SPORT1: Im Juni diesen Jahres verkündeten Sie Ihr Karriereende. Sie verzichteten also auf die Teilnahme bei den paralympischen Spielen in Tokio...

Mester: Ich habe meine Karriere beendet, weil ich spürte, dass es vorbei ist. Und es fiel eine Last von mir ab, als ich dann den letzten Speer geworfen habe bei der Europameisterschaft. Es war natürlich traurig so ganz ohne Zuschauer. Vielleicht reifte da auch der Gedanke an das Karriereende. Aber den goldenen Abschluss kann mir keiner nehmen. Ich bereue nichts.

SPORT1: Wie schwer fiel Ihnen die Entscheidung?

Mester: Zwei Tage nach meinem Gold-Gewinn habe ich bei meinen Eltern meine Medaille auf den Tisch gelegt und ihnen mitgeteilt, dass ich aufhöre. Da musste mein Vater weinen und sagte: ‘Du bleibst für mich der größte Sportler aller Zeiten’. Auch meine Mutter hatte Tränen in den Augen. Da wusste ich, dass es die richtige Entscheidung war. Eltern wollen immer das Beste für ihr Kind und ich spürte, das es eine Erleichterung für meine Eltern war.

Mester erhält den Preis für "Besondere Leistung 2020"
Mester erhält den Preis für "Besondere Leistung 2020"

SPORT1: Wie schlagen sich die deutschen Athleten in Tokio bisher?

Mester: Die deutschen Athleten und Athletinnen schlagen sich sehr gut und ich bin gespannt, wo wir am Ende stehen. Ich hoffe, wir kommen in die Top 10 des Medaillenspiegels. Es werden noch einige Kracher kommen. Einige Favoriten werden sicher noch straucheln. Es bleibt spannend.

Mester mit Dank an die Familie

SPORT1: Sie waren bekannt für Ihren Frohsinn und Ihre weiten Würfe mit dem Speer. Als mehrfacher Welt- und Europameister sowie Paralympics-Silbermedaillengewinner haben Sie nie aufgegeben und Ihren Weg im Leistungssport gemacht - ohne dabei jemals abzuheben. Dabei war Ihr Ehrgeiz stets ungebrochen - woher haben Sie die Kraft und das Selbstbewusstsein genommen?

Mester: Mein Selbstbewusstsein und meine Kraft habe ich daraus genommen, dass ich eine tolle Familie habe, die mir immer den Rücken gestärkt hat. Ich habe zudem tolle Freunde, die mich immer wieder hochziehen, wenn ich mal down bin. Ein intaktes Umfeld ist so wichtig. Man darf traurig sein, aber es bringt nichts, mich weiter runterzuziehen.

„Er hat den Staub nicht gesehen und ich bin nicht dran gekommen“

SPORT1: Sie haben mal in einer WG mit einem Sehbehinderten zusammengewohnt. Wie schwierig war das?

Mester: Er hatte nur noch sechs Prozent Sehkraft. Das war eine chaotische, bekloppte, aber tolle WG-Zeit. Wir wohnten viereinhalb Jahre zusammen und haben viel erlebt. Wenn wir FIFA gezockt haben, saß er immer nah am Fernseher und ich hatte Mühe, an ihm vorbeizuschauen, um auch noch etwas sehen zu können. Ich habe dann auch mal mit Tricks gearbeitet, wenn ich zu ihm sagte ‘Oh, schon die 89. Minute’ und er stellte noch mal die Mannschaft um. Dabei waren wir erst in der 70. Minute’. Ich brauchte nie ein Navi, weil er ganz andere Sinne hatte und alles abgespeichert hatte. Und im Haushalt haben wir uns super ergänzt. Er hat den Staub nicht gesehen und ich bin nicht dran gekommen.

SPORT1: Welche Ziele und Träume haben Sie noch?

Mester: Ich habe noch viel vor, kann mir vieles vorstellen. Egal, ob Moderator oder im Bereich Entertainment. In erster Linie sehe ich mich aber als Botschafter und Vorbild. Ich will Menschen Mut machen, die Inklusion vorantreiben und den Para-Sport bekannter machen. Mein größter Traum ist, dass dieser Sport irgendwann von der Wahrnehmung her da steht, wo er es verdient hat.