Eine Tragödie überschattet den Radsport – doch der Weltverband UCI hüllt sich weitestgehend in Schweigen und gibt ein fragwürdiges Bild ab. Nach dem Tod von Muriel Furrer mehren sich deshalb die kritischen Stimmen am Umgang der UCI mit dem Unfall.
Eine Tragödie und viele Fragen
So gab es zwar für Furrer vor dem Rennen am Samstag eine Schweigeminute, doch zu ihrem tragischen Tod findet sich auf der Homepage der UCI nur eine elfzeilige Meldung, mittlerweile von anderen, positiveren Beiträgen nach unten verdrängt. Immerhin: eine für Samstag geplante Gala wurde abgesagt, die Fahnen hingen auf halbmast.
The show must go on
Die Rennen gingen indes wie geplant bis zum WM-Ende am Sonntag weiter, auch auf Wunsch der Familie Furrer. „Wir glauben, dass es nicht der beste Weg wäre, sich an Muriel zu erinnern, wenn wir die WM stoppen würden“, teilte zudem UCI-Präsident David Lappartient mit.
Den besten Weg wählte die UCI aber auch nicht bei der Informationspolitik. Als am Freitag, einen Tag nach dem Unglück, UCI-Sportdirektor Peter van den Abeele und Olivier Senn, der Sportliche Leiter der WM, vor die Presse traten, waren fünf Fragen geduldet worden. Die Veranstaltung verließ das Duo zügig durch den Notausgang.
Nachfragen zum genauen Ort und zur exakten Zeit des Unfalls wurden von den Organisatoren nicht beantwortet, stattdessen verwiesen sie an die Kantonspolizei Zürich. Diese wiederum verwies an die Staatsanwaltschaft.
Der Zeitpunkt des Unfalls ist unbekannt
Dass sich die UCI bislang nicht äußerte, ist juristisch nachvollziehbar, vielleicht fürchtet sie sich aber auch vor der Justiz. Gab es einen oder mehrere Fehler, die den Tod der 18-Jährigen mitverschuldet haben?
Wie Blick und TeleZüri zunächst berichteten, soll die junge Schweizerin lange unentdeckt im Unterholz gelegen haben, während das Rennen weiterlief.
Die genaue Zeit des Crashs ist nach wie vor unbekannt. Das Juniorinnen-Rennen war am Donnerstag um 10 Uhr gestartet.
Gab es Zeugen beim Sturz?
Nun ergaben Recherchen des Blick, dass die 18-Jährige doch nicht alleine unterwegs gewesen sein soll. Laut einem Video, das ungefähr 400 Meter vor der Unfallstelle entstand, seien zwei Fahrerinnen bei Furrer gefahren. Demnach gebe es direkte Zeugen.
Zum Schutz der jungen Fahrerinnen werden im Bericht keine Namen genannt. Die Verantwortlichen der entsprechenden Nationalverbände bestätigten aber, dass die beiden Radsportlerinnen in der Nähe des Sturzopfers fuhren. Die Fahrerin, die näher hinter der verunglückten Furrer fuhr, soll sogar wahrgenommen haben, dass die Schweizerin von der Strecke abkam.
„Den Unfall selber konnte sie nicht sehen, auch wegen der hohen Geschwindigkeit und der rauen Bedingungen“, wurde ein Sprecher des entsprechenden Verbandes vom Blick zitiert. Zudem stehe die Zeugin den Behörden bei der Untersuchung gerne zur Verfügung, sei bisher aber nicht kontaktiert worden.
„Rettungskette sehr gut funktioniert“
Olivier Senn beschrieb am Sonntag die Rettungsaktion. Die Rettungskette habe „sehr gut“ funktioniert, sagte er der Nachrichtenagentur SDA. „Minuten nach dem Eingang der Unfallmeldung“ seien der Arzt samt Rettungswagen vor Ort gewesen und hätten „mit der Erstversorgung“ begonnen, „auch der Rettungshelikopter stand bereit“.
Doch wann ging die Unfallmeldung ein? Wann stand der Helikopter nicht mehr nur bereit, sondern wurde auch eingesetzt? Wurde der Sturz womöglich nicht registriert? Waren die Sicherheitsvorkehrungen nicht ausreichend?
Der Blick vermeldet, dass ein Rettungshubschrauber erst eine Stunde nach dem Ende des Rennens zum Einsatz gekommen sein soll und beruft sich dabei auf Augenzeugen. Hat man das Fehlen von Furrer erst im Ziel bemerkt?
Debatte um Funkverbot und GPS-Tracker
Bei der WM ist der sonst übliche Funk zwischen Fahrern und Teams von der UCI untersagt. Der Verband verspricht sich davon mehr Spannung und weniger Taktik. Fahrer und Teams haben immer wieder darauf hingewiesen, dass der Funk für die Sicherheit wichtig ist.
UCI-Präsident David Lappartient sieht dieses Argument nicht: „Es gibt auch Stürze wegen des Funks. Wir sollten vorsichtig sein und eine Tragödie nicht verallgemeinern.“ Es sei zu früh, um Rückschlüsse zu ziehen, „ob es möglich gewesen wäre, sie mit Funk eher zu finden oder nicht“.
Klar ist jedoch: Durch einen Live-Zugriff auf die GPS-Tracker der Athletinnen und Athleten wäre Furrers Verschwinden schnell aufgefallen. Laut Senn, der sich am Mittwoch gemeinsam mit Gesamtprojektleiter Daniel Rupf erneut den Medien stellte, gebe es diesbezüglich keine Vorgaben.
„Es wird hoffentlich eine intensive Diskussion darüber geben, was sich im Radsport verändern muss. Es gab zu viele Todesfälle. Am Ende hat der Weltverband die Hand über dem Reglement. Wir haben der UCI schon mitgeteilt, dass es uns ein großes Anliegen ist, dass diese Diskussion intensiviert wird“, erklärte der Sportliche Leiter der WM.
Radsport von schweren Stürzen überschattet
Nun warten Senn und Co. die Unfalluntersuchung durch die Staatsanwaltschaft und die Polizei ab. Zuletzt hatte es mehrere fatale Stürze im Radsport gegeben.
Vor Furrer war erst im Juli André Drege verstorben. Der Norweger stürzte bei einer Abfahrt auf der vierten Etappe der Österreich-Rundfahrt im Großglocknergebiet.
Im Juni 2023 stand das Schweizer Radteam wie jetzt unter Trauer. Gino Mäder war bei der Tour de Suisse einen Abhang hinuntergestürzt und später seinen Verletzungen erlegen.
Dessen Mutter schrieb via Instagram an die Familie von Furrer: „Liebe Familie Furrer, ich fühle mit Euch. Ganz intensiv und ich weiß so sehr, wie es Euch jetzt gehen muss. Haltet Euch fest, ich wünsche Euch ganz viel Kraft, diese Stunden durchzustehen.“