Deutschlands Tennis-Star Alexander Zverev trainiert aktuell mit Toni Nadal. Obwohl noch nicht geklärt ist, ob der Onkel von Rafael Nadal tatsächlich langfristig an der Seite des 28-Jährigen bleibt, sorgte die Meldung für großes Aufsehen in der Tennis-Welt.
"Wenn das bei Zverev passieren würde, wäre es Wahnsinn"
„Nadal bringt mit, was Zverev braucht“
Auch der ehemalige deutsche Profi Philipp Kohlschreiber sieht in dieser Möglichkeit „den richtigen Schritt“ für Zverev, wie er im exklusiven SPORT1-Interview verrät.
Der 41-Jährige erklärt, wie wichtig ein Tapetenwechsel für Zverev ist - und warum Nadal ihm die Angst nehmen kann. Außerdem spricht Kohlschreiber über die Entwicklung des deutschen Tennis-Juwels Justin Engel, das er seit dem vergangenen Jahr trainiert.
SPORT1: Herr Kohlschreiber, Alexander Zverev trainiert aktuell auf Mallorca in der Nadal-Academy unter Toni Nadal, der auch sein Trainer werden könnte. Wie schätzen Sie diese Verbindung ein?
Philipp Kohlschreiber: Ich glaube, dass es ein guter Schritt ist, speziell auch auf einen etablierten Trainer mit viel Erfahrung zu setzen. Das wird vielleicht eine andere Wirkung auf ihn haben. Was man über Toni Nadal weiß, ist, dass er sehr auf Disziplin steht und eben eine echte Respektsperson ist. Er bringt dieses Kämpferische und dieses Mentale mit, was Sascha aktuell braucht. Er muss jetzt gar nicht so viel über seine Schläge nachdenken, wir wissen, was er angesprochen hat: dass es mehr oder weniger eine mentale Geschichte ist. Toni Nadal hat speziell in diesem Bereich einen sehr guten Job gemacht, indem er Rafael Nadal zu einer unglaublichen Kampfmaschine mit einer unfassbaren Einstellung geformt hat. Dieses Kämpferherz bringt Sascha sowieso mit, er ist ein Kämpfertyp, der nie aufgibt. Aber vielleicht kann Toni Nadal da noch mal in eine Kerbe reinschlagen. Sascha neigt manchmal dazu, dass er ängstlich wird, wenn es eng zugeht, und dann anfängt, passiver zu spielen.
Zverev tut es gut, aus dem „Familientrott rauszukommen“
SPORT1: Zverev kann also speziell im mentalen Bereich von Toni Nadal profitieren?
Kohlschreiber: Ich glaube, genau dafür ist Toni Nadal bekannt. Das wird jetzt nicht der unglaubliche Technik-Tüftler sein, der noch viel umbauen muss. Aber er wird definitiv sehr viele positive Aspekte mitbringen, was das Mentale angeht und auch das Rangehen an die Big Points. Dass Sascha in Zukunft nicht mehr Angst hat, den Punkt zu verlieren, sondern eher den Mut, den Punkt zu gewinnen. Da könnte die Kombination durchschlagend sein.
SPORT1: Zverev sprach zuletzt öffentlich von mentalen Problemen. Wie wichtig kann da ein Tapetenwechsel sein - eben jetzt mit dem Trainingscamp auf Mallorca?
Kohlschreiber: Das sehe ich sehr positiv. Es ist gut, einfach mal aus diesem ganz engen Familientrott rauszukommen und mal ein neues Gesicht zu sehen. Einer, dem man auch vertraut, weil er viel Lebenserfahrung und speziell mit Rafael Nadal sehr viel durchlebt hat. Da glaube ich auf jeden Fall, dass es der richtige Schritt ist. Die schwierigere Veränderung wird aber definitiv sein: Wie hört er zu, wie offen ist er für neuen Input, inwieweit ist er bereit, aus seiner Komfortzone zu gehen? Toni Nadal ist eine Respektperson, hat Lebenserfahrung und viel Erfahrung auf dem Tennisplatz. Zudem sticht heraus, dass ihm speziell dieser mentale Aspekt schon immer wichtiger war. Das sieht man auch an Rafael Nadal. Da sagt jeder, dass er ein absoluter Sportsmann war, der immer gekämpft hat und jeden Punkt wie seinen letzten gespielt hat.
Zverev? „Er ist ja wirklich ein absoluter Top-Profi“
SPORT1: Zverev gilt nicht als der disziplinierteste Spieler, kommt gerne auch mal bei Terminen zu spät. Kann das mit Disziplin-Fanatiker Nadal überhaupt gut gehen?
Kohlschreiber: Ich würde jetzt nicht sagen, dass ihm die Disziplin fehlt. Er ist ja wirklich ein absoluter Top-Profi, der auch nach den Matches noch trainiert. Also das darf man nicht so negativ auslegen. Klar, es gab mal das Gerücht: Aber ob er da jetzt wirklich oft zu spät zum Training kommt, weiß ich natürlich nicht. Aber ich glaube, dass man einen neuen Trainer eher nicht warten lässt als vielleicht seinen Papa oder seinen Bruder, den man am Abend zuvor noch gesehen hat. Das ist dann noch mal ein anderer Flair. Ich glaube auch, dass Toni Nadal - was auch ein wichtiger Aspekt ist - den Job nicht braucht. Was heißt das? Er wird sagen: ‚Hey, ich kann dir helfen, aber es gibt gewisse Dinge, die für mich wichtig sind.‘ Und wenn Zverev die nicht einhält, würde er sich das wahrscheinlich nicht mehr antun. Er muss sich nicht zurücknehmen, weil er unbedingt den Job braucht.
SPORT1: Muss Zverev sich von seinen bisherigen Trainern lösen, wie Boris Becker es schon oft gefordert hat? Oder kann es auch in Kombination mit Toni Nadal funktionieren?
Kohlschreiber: Also ich persönlich würde jetzt sagen, man muss sich nicht komplett lösen. Eine Kombination halte ich für gut. Ich glaube auch nicht, dass Toni Nadal 40 Wochen im Jahr reisen will. Er hat auch Familie daheim. Ich könnte mir vorstellen, dass es vielleicht auf gute 20 Wochen hinausläuft und er nicht bei jedem Training in Monte-Carlo dabei sein kann und will. Deswegen muss es meiner Meinung nach eine Kombination geben. Trotzdem würde ich es jetzt erst mal gut finden, wenn die kommenden Turniere nur mit dem kleineren Staff stattfinden und er sich neben Toni Nadal vielleicht höchstens noch einen Physio hinzunimmt und Bruder und Vater zu Hause bleiben. So kann man sich auch etwas besser kennenlernen. Irgendwann kann man dann versuchen, eine Schnittstelle zu finden, wie man das gesamte Team zusammenbringt. Da kann man dann regeln, wer bei welchem Turnier dabei ist und wann vielleicht mal alle dabei sind. Es wird zudem wichtig sein festzulegen, wer die Führung übernimmt.
Rafael Nadal bald als Mentor für Zverev?
SPORT1: Was zeichnet Toni Nadal denn speziell als Trainer aus?
Kohlschreiber: Toni Nadal war schon immer ein sehr aktiver Coachingtyp. Als er noch Rafa trainiert hat, hat er ja auch mal die eine oder andere Verwarnung bekommen, weil er zu oft reingecoacht hat. Das darf er jetzt ja sogar, weil Coaching erlaubt ist. Er ist ein sehr aktiver Trainer aus der Box. Gerade deshalb müssen sich alle Teammitglieder einig sein. Alle müssen an einem Strang ziehen, keiner darf sich auf den Schlips getreten fühlen. Aber wir haben ja im Moment dieses mentale Tief von Sascha und da braucht es wirklich neuen Input und ein neues Gesicht. Toni Nadal wird nicht das Tennis neu erfinden, aber mit einer anderen Sprache rangehen. Da glaube ich einfach fest daran, dass das Sascha guttut.
SPORT1: Es gibt auch Gerüchte, dass Rafael Nadal als eine Art Mentor auftreten könnte. Wie besonders wäre eine Zusammenarbeit mit ihm und wie könnte Zverev davon profitieren?
Kohlschreiber: Also, wenn das passieren würde, wäre es natürlich der Wahnsinn. Ich glaube aber, dass das nicht wirklich passiert, weil Rafa Nadal eben erst vor Kurzem aufgehört hat und aktuell erst mal seine Freizeit genießt. Da sehe ich jetzt nicht, dass der viele Wochen im Jahr zum Tenniszirkus reist und sich in eine Box setzt. Aber mag sein, dass er natürlich das ein oder andere Mal auch auf Mallorca dabei sein wird oder sich das mal anschaut. Ich glaube, dass es immer hilfreich ist, wenn so ein Idol, auch für Sascha, dir zur Seite stehen könnte. Die beiden kennen sich ja auch gut, hatten dieses epische Match bei den French Open, das sie verbindet. Dann auch die schwere Verletzung von Zverev. Nadal war schon immer einer, der einem wirklich gut zugeredet und das immer zu 100 Prozent ernst gemeint hat. Er hat immer eine tiefe Verbindung zu den Spielern gesucht. Wenn er Sascha helfen würde, wäre das natürlich absolut positiv zu sehen.
Kohlschreiber traut Zverev Grand-Slam-Sieg zu
SPORT1: Was trauen Sie Zverev in der Kombination mit Nadal in Zukunft zu?
Kohlschreiber: Ich meine, Sascha ist seinem großen Traum, einen Grand Slam zu gewinnen, jetzt schon wirklich ein paar Mal nahe gewesen. Er war auch schon öfter im Finale. Klar, es hat bisher noch nicht zu dem großen Coup gereicht, aber wir reden über die Nummer drei der Welt. Er ist der Spieler, der Jannik Sinner und Carlos Alcaraz am gefährlichsten ist, von den ganzen Verfolgern. Er hat alle schon besiegt, hat unglaubliche Matches abgeliefert und ist wirklich hauchdünn dran. Jetzt geht es darum, das Mentale wieder in die Bahn zu bringen. Wenn das Toni Nadal schafft, Sascha ein bisschen vom Mindset zu verändern, dann wird das eine super Verbindung. Vielleicht holt er auch im spielerischen Bereich noch etwas raus, zum Beispiel, dass er noch etwas aggressiver spielt. Aber noch wichtiger ist der mentale Bereich. Da muss Zverev klar werden, dass man kein Finale verliert, sondern nur gewinnen kann. Sollte es Nadal gelingen, ihm das klarzumachen und ihn ein bisschen umzupolen, dann traue ich ihm noch den Grand-Slam-Erfolg zu.
SPORT1: Der Tenniszirkus ist extrem hart. Es gibt viele Reisen, viele Turniere und einen hohen Erwartungsdruck. Sind Tennis-Stars auf der Tour zur Einsamkeit verdammt?
Kohlschreiber: Es gibt keine Möglichkeit, sich mal rauszunehmen oder mal einen Mitspieler einzuwechseln. Man steht da wirklich allein auf dem Platz. Natürlich ist Sascha extrem im Rampenlicht. Es ist schon brutal, wenn man überlegt, dass auch ein Spieler wie Sascha Zverev, der die Nummer 3 der Welt ist, im Jahr vielleicht drei bis fünf Titel gewinnt. Also geht man selbst als erfolgreicher Spieler fast jede Woche ohne Titel nach Hause. Es kommt vor, dass man ein starkes Turnier spielt, bis ins Finale kommt und dann doch als Verlierer abreist. Wie bitter das ist, hat man auch bei den Australian Open gemerkt, als er nach dem Match sogar sagte, dass er nicht gut genug ist. So was lässt tief blicken.
SPORT1: Wie kann in solchen Situationen ein Trainer-Team helfen?
Kohlschreiber: Gerade in diesen Situationen geht es für den Trainer oder das Team darum, immer weiterzuarbeiten und positiv zu bleiben. Jannik Sinner ist da ein gutes Beispiel, der bei den French Open so bitter im Finale verloren hat. Viel schlimmer geht es eigentlich nicht, aber er hat sich davon berappelt und jetzt in Wimbledon triumphiert. Das zeigt, dass es geht, aber dafür muss das Team auch unglaublich arbeiten. Wenn Toni Nadal so was auch bei Sascha schafft, dann wird er auch die Möglichkeit bekommen, einen Grand Slam zu gewinnen.
Kohlschreiber schwärmt von Engel
SPORT1: Sie sind jetzt selbst als Tennis-Trainer tätig und betreuen das Top-Talent Justin Engel. Wie versuchen Sie ihn auf diesen harten Zirkus vorzubereiten?
Kohlschreiber: Da sind wir momentan in einer ganz schönen Situation, weil es momentan sehr steil und stetig nach oben geht. Da gab es jetzt nicht so viele richtige Downs in der letzten Zeit. Aus meiner Sicht haben wir viel Spaß zusammen, weil man Bewegung sieht. Es ist klar, dass ein 17-Jähriger auch mal eine Woche oder zwei Wochen hat, in denen er nicht gut spielt. Dass die Konstanz noch nicht so ist wie bei den Top-Leuten, ist auch ganz normal. Aber ich glaube, wir sind weit im Plus von dem, was wir uns vorgestellt haben. Er kann jetzt schon die US-Open-Quali spielen als 17-Jähriger. Das ist natürlich sensationell. Natürlich wird man an Erfolgen gemessen, aber für ihn als jungen Spieler ist es noch wichtiger, dass man eine Entwicklung sieht. Justin freut sich auf jedes Tennismatch, ist natürlich noch ein Greenhorn, der noch nicht viele negative Erfahrungen gemacht hat. Bei ihm ging es bisher nur stetig nach oben. Genau deshalb versuchen wir diese positive Welle so lange wie möglich zu reiten. Mir ist aber auch bewusst, dass es mal eine Phase geben wird, in der es vielleicht nicht so leicht nach oben geht, und da muss man auch tough genug sein. Davor habe ich bei Justin aber keine Angst.
SPORT1: Kann man denn allgemein sagen, dass der mentale Aspekt in der Trainer-Arbeit oft sogar wichtiger ist als der spielerische Aspekt?
Kohlschreiber: Nein, so darf man das jetzt nicht sagen. Es kommt definitiv immer auch auf die spielerischen Komponenten an. Da kann ich auch aus meiner eigenen Erfahrung als Spieler sprechen: Du darfst nie stehen bleiben. Wenn du auf der Tour bist, gibt es viele Videos über dich. Deine Gegner versuchen dich zu studieren und jeder Spieler hat Stärken und Schwächen. Wenn du dann stehen bleibst und deine Stärken oder deine Schwächen nicht ausmerzt, dann werden die Gegner dich da wirklich permanent anspielen. Deswegen musst du dich als Spieler immer weiterentwickeln. Es gibt ja den schönen Spruch: Stillstand ist Rückschritt. Das trifft im Sport doppelt und dreifach zu.