Für den deutschen Tennis-Sport war Wimbledon 2025 ein Turnier mit Licht und Schatten. Während Alexander Zverev bereits sein Auftakt-Match verlor und im Anschluss offen über mentale Probleme sprach, trumpfte Laura Siegemund überraschend auf. Die 37-Jährige verpasste gegen die Favoritin Aryna Sabalenka nur knapp den sensationellen Halbfinal-Einzug. (Wimbledon 2025 täglich im LIVETICKER)
Zverev? "Er war jetzt leider einer von den Leuten, die es nicht geschafft haben"
Zverev? „Ist ein sehr einsamer Sport“
Im SPORT1-Interview ordnet der frühere deutsche Tennis-Star und Rasen-Spezialist Dustin Brown die so ungleichen Auftritte von Siegemund und Zverev ein. Zudem erklärt Brown, der im Jahr 2015 Rafael Nadal auf dem heiligen Rasen von Wimbledon bezwingen konnte und inzwischen das Geschehen als TV-Experte für Amazon Prime begleitet, wie sehr sich das Turnier im Laufe der Jahre gewandelt hat.
SPORT1: Herr Brown, Laura Siegemund hat die Überraschung gegen Aryna Sabalenka leider knapp verpasst. Wie bewerten Sie das Match?
Dustin Brown: Es ist natürlich gegen so eine Spielerin und dann auch auf dem Center Court immer schwierig. Ich fand, dass sie wirklich sehr gut eingestellt war. Es war stark, dass sie mal mit einem hohen Ball, mal mit einem flachen Slice, dann mal wieder mit einem schnellen Schlag oder einem Stopp gespielt hat. Das hilft gerade gegen eine Spielerin wie Sabalenka, die sehr druckvoll spielt. Es ist alles sehr gut gelaufen und es tut mir wirklich sehr leid, dass sie das Match verloren hat. Laura war in Großteilen des Matches die bessere Spielerin und hat alles richtig gemacht.
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SPORT1: Was hat vielleicht gefehlt, um die nächste Sensation zu schaffen?
Brown: Die Gegnerin ist halt auch die Nummer eins der Welt. Zudem war das Spiel auf dem Center Court. Da spielen auch die Nerven eine große Rolle. In so einer Situation spielt dann viel mit, auch das Drumherum. Da muss man auch mit klarkommen und das ist sehr schwer, weil man das vorher nicht üben kann. Das sind leider Sachen, die man nur durch solche Matches und teilweise leider auch durch Niederlagen lernt.
„Wird schwer genug sein, mit dieser Niederlage umzugehen“
SPORT1: Ist die Niederlage vielleicht sogar so etwas wie die verpasste Chance des Lebens?
Brown: Das kann man schlecht sagen. Das wird für sie jetzt eh schon schwer genug sein, mit dieser Niederlage umzugehen.
SPORT1: Trotz der Niederlage im Viertelfinale war das Turnier natürlich trotzdem ein unglaublicher Erfolg. War das ein einmaliger Ausrutscher nach oben oder trauen Sie ihr solch einen Coup erneut zu?
Brown: Sie hat ja die ganze Zeit schon gut gespielt. Also hauptsächlich hat sie Doppel gespielt und nebenbei dann sozusagen noch Einzel. Ich hoffe und wünsche ihr natürlich weiterhin viel Glück, dass es auch gut läuft. Sie steht jetzt in der Rangliste um die 50 und wird damit überall im Hauptfeld sein. Deshalb sehe ich nicht, warum da nicht noch weitere sehr gute Resultate kommen sollten.
SPORT1: Nicht nur Siegemund überraschte. Sowohl bei den Herren als auch bei den Damen gab es zahlreiche Überraschungen. Hat Sie das große Favoritensterben überrascht?
Brown: Ja, natürlich. Es hat alle überrascht. Ich finde generell, dass die breite Masse von Spielern alle sehr, sehr gut ist. Es ist nicht so, dass die Nummer 200 richtig schlecht spielt und die Nummer zehn richtig gut. Bis auf Carlos Alcaraz, Jannik Sinner und Novak Djokovic habe ich das Gefühl, dass alle alle schlagen können. Es entscheidet oft einfach die Tagesleistung, speziell, weil die Topspieler den ganzen Druck haben, wenn sie gegen vermeintlich schlechtere Spieler spielen.
„Jeder Tennisspieler hat da sein Päckchen zu tragen“
SPORT1: Einer dieser Favoriten, die früh ausgeschieden sind, war auch Alexander Zverev. Wie bewerten Sie das frühe Aus der deutschen Nummer eins?
Brown: Das tut mir natürlich leid für Alex. Wir haben alle gehofft, dass er weiterkommt. Aber er war jetzt leider einer von den Leuten, die es nicht geschafft haben.
SPORT1: Nach dem Spiel offenbarte Zverev mentale Probleme. Hatten Sie auch mal mit solchen mentalen Problemen zu kämpfen?
Brown: Ich glaube, jeder Tennisspieler hat da sein Päckchen zu tragen. Das ist ein sehr einsamer Sport und nicht jeder ist mit großen Teams unterwegs. Man vergisst auch immer, dass Tennis ein Sport ist, wo die meisten Leute, bis auf früher Roger Federer, Djokovic und Nadal - und jetzt Sinner und Alcaraz - eigentlich jede Woche mindestens einmal verlieren. Man kann auch zwei, drei sehr gute Matches spielen und sich dann sehr gut fühlen. Dann verliert man in der nächsten Runde mit einem schlechten Match und fährt leider vom Turnier mit einem schlechten Gefühl weg. Auch Siege können einsam sein. Ich habe es öfter gehabt, dass ich ein Turnier gewonnen habe, es dann aber Sonntag ist und sogar das Restaurant schon zu ist. Dann sitzt man halt allein auf dem Zimmer, obwohl man gerade ein Turnier gewonnen hat. Am nächsten Tag geht es dann weiter und dann ist schon wieder das neue Turnier. Man hat wenig Zeit, sich wirklich über die positiven Sachen zu freuen.
SPORT1: Spielt es da eine spezielle Rolle, dass Tennis eben ein Einzelsport ist und man alles mit sich selbst ausmachen muss?
Brown: Natürlich liegt der Druck auf einem selbst. Man kann das aber auch positiv sehen und sagen, dass man alles selbst in der Hand hat. Tennis ist eben ein Einzelsport und man muss das mit sich selbst ausmachen, an guten, aber auch an schlechten Tagen.
„Wimbledon wird immer speziell bleiben“
SPORT1: Zurück zum aktuell laufenden Turnier in Wimbledon. Viele Teilnehmer kritisieren die Bedingungen, der Rasen sei in diesem Jahr noch einmal langsamer. Konnten Sie das auch beobachten?
Brown: Es sah langsam aus, aber ich habe selber nicht gespielt und kann es deshalb nicht beurteilen. Es ist aber schon seit Jahren so. Das ist auch klar am Platz zu erkennen. Wenn man zurückgeht, zu den Zeiten von Boris Becker oder Michael Stich, da hat man gesehen, dass der Weg nach vorne ans Netz abgenutzt war. Jetzt ist es teilweise eigentlich nur noch hinter der Grundlinie so. Das war aber auch schon zu der Zeit, als ich gespielt habe, in den Jahren zwischen 2013 und 2017, so. Da hat man gemerkt, dass weniger Serve-and-Volley gespielt wurde. Das wird dann auch mit den Bedingungen und den Bällen zu tun gehabt haben.
SPORT1: Verliert das Turnier so nicht seine Identität?
Brown: Nein. Das ist ja generell auf allen Plätzen so. Es wird fast auf allen Plätzen ausschließlich von hinten gespielt und das geht ja schon etwas länger so. Wimbledon wird immer speziell bleiben und auch in der aktuellen Version ist Wimbledon noch immer ein spezielles Turnier - und jeder möchte Wimbledon gewinnen.