Das war Vereinsidentifikation pur: Merlin Polzin stand mit seinem Trainerteam zwischen den Spielern, als alle gemeinsam vor dem Hamburger Fanblock den Heimsieg (1:0) gegen den 1. FC Köln feierten.
Vom HSV-Fan zum Trainer
„Wir wollen als Trainerteam, Mannschaft und Verein für gewisse Dinge stehen. Die Geschlossenheit ist ein wesentlicher Bestandteil davon“, sagte der Trainer über diese Szene. Im Hinblick auf die Fans sei es wichtig, „sich permanent für die Unterstützung zu bedanken“.

Früher hatte der 34-Jährige selbst noch im Fanblock gestanden, jubelte den Spielern den HSV zu und reiste sogar zu Auswärtsspielen mit. 2011 fing Polzin bei seinem Herzensverein als Trainer an - und zwar bei der F-Jugend. Eines Tages die Profimannschaft trainieren zu können? Damals undenkbar. Über einen Umweg gelang es dennoch.
Polzin lernt Thioune kennen
Während seines Lehramtsstudiums in Osnabrück lernte er Daniel Thioune kennen, der damals die U17 des VfL Osnabrück trainierte. Da dieser so begeistert von Polzins Beobachtungen war, integrierte er ihn in sein Trainerteam.
Im Sommer 2020 wurde Thioune vom HSV verpflichtet. Polzin kam mit. Nach nicht einmal einem Jahr wurde Thioune wieder entlassen worden. Wer blieb, war Polzin - und das bis heute.
Co-Trainer hospitierte unter Klopp
Auch sein Co-Trainer, der 31 Jahre alte Loic Favé, ist ein Hamburger Jung. Mit 18 Jahren wurde er von einem Kumpel gefragt, ob er die E-Jugendmannschaft des Breitensportvereins Eimsbütteler TV trainieren möchte. Er wollte.
Später führte er dessen U17 und U19 in die Bundesliga, durfte dann sogar bei Borussia Dortmund unter Jürgen Klopp hospitieren. Diesen habe er „sehr menschlich in Erinnerung behalten“.
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Über seine eigene Laufbahn sagt er: „Es war nicht mein Ziel, im Profifußball zu landen.“ Dass es doch so kam, verdankt er St.-Pauli-Ikone Timo Schultz: „Er war Jugendtrainer bei St. Pauli, ich beim ETV. Wir haben immer die gleichen Jahrgänge trainiert und daher oft gegeneinander gespielt.“
Als Schultz Cheftrainer bei den Profis von St. Pauli wurde, nahm er Favé als Assistenztrainer mit. Seit Anfang 2024 ist er beim HSV beschäftigt.
Selke & Co. sprachen sich für das Trainerteam aus
Stellt sich die logische Frage: Können zwei junge Männer, die selbst nie Profispieler waren und nur wenig Trainererfahrung haben, den HSV in die Bundesliga führen?
Die Zwischenbilanz macht Hoffnung: Seit Polzin die Nachfolge von Steffen Baumgart antrat (erst interimsweise, seit der Winterpause fest), hat der HSV kein Spiel mehr verloren. Drei Siege und zwei Unentschieden sind die Bilanz. Was ebenfalls wichtig ist: Die Spieler stehen hinter dem Trainerteam!
Am letzten Spieltag der Hinrunde, als über die Zukunft des Trainers noch nicht entschieden war, fertigte der HSV die SpVgg Greuther Fürth mit 5:0 ab. Danach stellten mehrere Spieler öffentlich klar, mit dem Trainerteam weiter zusammenarbeiten zu wollen.
„Wir haben uns damals so klar für das Trainerteam ausgesprochen, weil die Arbeit einfach gut war“, bekräftigt Davie Selke noch einmal gegenüber SPORT1. „Die Jungs haben gezeigt, dass sie uns extrem akribisch vorbereiten.“
Das Pressing wurde perfektioniert
Ein Beispiel sei laut Selke die Arbeit gegen den Ball: „Man sieht, dass das Pressing noch einmal intensiver ist. Dadurch ist es für den Gegner sehr schwierig, rauszuspielen.“
Polzin veränderte die Grundformation von Vorgänger Baumgart, indem er ausschließlich in einer 4-3-3 Formation spielen lässt. Was laut Mittelfeldspieler Jonas Meffert das Entscheidende ist: „Er lässt die Spieler auf den Positionen spielen, auf denen sie sich am wohlsten fühlen.“
Seitdem der Hamburger SV im Sommer 2018 aus der Bundesliga abgestiegen ist, sind sieben unterschiedliche Trainer an der Aufgabe gescheitert, den HSV zurück ins Fußball-Oberhaus zu führen. Darunter auch Trainer-Größen wie Dieter Hecking oder Horst Hrubesch.
Es wäre Fußball-Romantik pur, wenn nun ausgerechnet zwei Hamburger Jungs es hinbekommen würden.
Die richtige Trainer-Konstellation für den Aufstieg?
„Es wäre natürlich etwas Besonderes, wenn wir es schaffen“, sagt Polzin. „Aber gar nicht so sehr aufgrund der Konstellation mit Loic und mir, sondern vielmehr einfach, weil wir das Ziel erreichen wollen. Jeder zahlt darauf ein. Das ist entscheidender als unsere persönliche Bindung.“
Kommende Woche Samstag könnte der HSV mit einem Auswärtssieg bei Hertha BSC (ab 20:30 Uhr LIVE im TV und Stream auf SPORT1) einen weiteren Schritt Richtung Aufstieg machen. Selke glaubt: „Wir haben die richtige Konstellation für das Ziel.“
Womöglich gibt es also noch viele Gelegenheiten zum Feiern - mit Polzin mittendrin.