„Für mich ist Jule in der Bundesliga auf dieser Position unter den Top 3“, erklärte Nuri Sahin nach dem Jahresabschluss gegen Wolfsburg (3:1), als Julian Brandt ein Tor selbst erzielte und ein weiteres vorlegte.
Ein Gesicht der BVB-Krise
Der BVB-Trainer nannte seinen Offensivspieler in einer Reihe mit Jamal Musiala und Florian Wirtz und unterstrich damit Brandts Stellenwert für das Dortmunder Spiel.

Doch Fakt ist: Der 28-Jährige ist in der aktuellen Verfassung von dem Level der beiden Youngsters meilenweit entfernt. Brandt muss bei den kriselnden Dortmundern sogar um seinen Stammplatz fürchten.
BVB-Star Brandt legt furios los
Schon vor der Saison machte Sahin deutlich, wie sehr er auf Brandt baue. Ein Vertrauensbeweis war nicht nur das Trikot mit der neuen Nummer zehn, sondern vor allem das Amt des Vizekapitäns.
Auch wenn ihm schon zu Beginn der Saison das ein oder andere Mal das Spielglück fehlte, hing er sich rein und war für die Mannschaft unersetzlich. Selbst dann, wenn er aufgrund der dünnen Personaldecke eigentlich eine Pause benötigt hätte und teilweise überspielt wirkte.
Er legte dennoch eine Entwicklung hin. Er gewann in dieser Saison 47 Prozent seiner Zweikämpfe (vergangene Saison waren es nur 41%), ist deutlich lauffreudiger und legte mehr Sprints hin. Zudem ist Brandt der BVB-Spieler mit den meisten Torschüssen (65) und Torschussvorlagen (38).
Die Folge: War Brandt fit, stand er immer in der Startelf. Ähnlich wie in der vergangenen Saison unter Edin Terzic, wo er mit sieben Treffern und elf Vorlagen hinter Niclas Füllkrug zweitbester Scorer war. In 32 von 34 Partien kam er unter Terzic zum Einsatz.
Trotz kleiner muskulärer Probleme zeigte seine Formkurve vor Weihnachten steil nach oben. Viele hatten den Eindruck, als könnte der hochveranlagte Mittelfeldspieler sein Potenzial endlich konstant abrufen. Auch Julian Nagelsmann war der Meinung und nominierte ihn im November erstmals seit über einem Jahr wieder für die DFB-Elf.
BVB-Star fällt ab und erntet heftige Kritik
Doch von dem Brandt vom Beginn der Saison ist derzeit nur wenig zu sehen. Der Tiefpunkt: Die Partie in Kiel, nach der Sahin seine vermeintlichen Führungsspieler anzählte.
„Ich habe kaum eine Leistung gesehen, die dem Anspruch ‚Führungsspieler‘ gerecht wurde“, kritisiere der BVB -Trainer und führte auf Nachfrage weiter aus:
„Jule Brandt ist einer dieser Spieler. Ich hatte ein Gespräch mit Jule. Er ist sich der Lage bewusst und will mit anpacken. Er ist selbstkritisch mit sich selbst umgegangen nach dem Spiel“, meinte Sahin und betonte, dass Brandt nicht der einzige Spieler wäre, von dem er sich „10 Prozent mehr“ erwarte.
Brandt aktuell ohne Esprit
Trotz der deutlichen Worte ist von Besserung keine Spur. Auch gegen Frankfurt wirkte Brandt nahezu teilnahmslos, lethargisch und ohne Esprit. Die Vorwürfe, die schon seit Jahren an ihm haften, dass ihm oft der letzte Biss fehle und er zu inkonstant sei, bestätigte der 28-Jährige.
Dass Brandt in 339 Bundesliga-Partien erst 101 Fouls beging (in dieser Saison erst zwei!) passt ins Bild. Rekordnationalspieler Lothar Matthäus brachte es nach der Niederlage in Kiel auf den Punkt: „Wenn ein Windstoß kommt, fällt er um.“
Gegen Frankfurt gewann Brandt nicht einen einzigen Zweikampf und wurde mit gerade einmal 50 Ballkontakten, die für einen Kreativspieler in der Schaltzentrale enorm wenige sind, in der 71. Minute ausgewechselt.
Auch in seiner sechsten Saison beim BVB schafft es Brandt derzeit nicht, sein Potenzial konstant abrufen. Bis 2026 ist der deutsche Nationalspieler noch an den Verein gebunden. Doch die Zweifel, dass er seiner Führungsrolle gerecht wird, wachsen.
Brandt droht Sabitzer-Schicksal
Schon vor der Partie gegen Frankfurt galt Brandt als Wackelkandidat, spielte dennoch und enttäuschte. Die zuvor von Sahin angekündigten „Konsequenzen“ trafen demnach nur Marcel Sabitzer, der in einem ähnlichen Formtief steckt – allerdings schon seit Saisonbeginn.
Dieses Schicksal blüht nun auch dem von Sahin als „absolut unersetzlichen“ bezeichneten Brandt. Dabei könnte ihm auch das System zum Verhängnis werden. In der vergangenen Saison zeichnete ihn seine Vielseitigkeit aus, unter Sahin ist er im zentralen offensiven Mittelfeld, auf der Zehn – seiner wohl stärksten Position – gesetzt.
Doch durch die von Sahin getätigte Umstellung auf Dreier-/ bzw. Fünferkette, mit zwei Sechsern und ohne echte Zehn, wich Brandt auf den Flügel aus. Die Folge: Er tauchte komplett unter.
Bei der Suche nach einem so dringend benötigten Führungsspieler, der die Mannschaft mitreißt und mit Leistung vorangeht, gibt Brandt derzeit alles andere als ein Bewerbungsschreiben ab.
Die Nummer zehn des BVB sollte, wie die deutlich jüngeren Florian Wirtz und Jamal Musiala für ihre Klubs, ein Gesicht des Vereins werden. Das ist ihm zwar gelungen - nur leider ist er derzeit ein Gesicht der BVB-Krise.