Seine ersten Gedanken galten Jürgen Klopp. Als Arne Slot im Moment des Titelgewinns mit dem FC Liverpool mitten auf dem Rasen der Anfield Road stand, umgeben von euphorisierten Fans auf den Rängen, stimmte der Niederländer seine auf Klopp umgedichtete Version des Evergreens „Live is life“ an.
Seine ersten Gedanken galten Klopp
Seine ersten Gedanken galten Klopp
Das Publikum stimmte mit ein. Damit schloss sich ein Kreis. Vor einem Jahr hatte Klopp bei seiner Abschiedsrede einen entsprechenden Gesang auf seinen Nachfolger („Arne Slot, lalalalala“) angestimmt und ihm damit einen warmen Empfang bereiten wollen.
Slot dankt Klopp: „Hat noch nie ein Trainer getan“
„Das hat noch nie ein Trainer vorher getan. Es hat mir definitiv geholfen“, sagte Slot am Sonntag. „Aber abgesehen davon hat er mir noch mehr damit geholfen, mir diese Mannschaft zu hinterlassen und diese Arbeitsmoral im Team.“
Die Fußstapfen, die Klopp in Liverpool hinterlassen hat, hätten kaum größer sein können. In über acht Jahren an der Seitenlinie führte er die Reds 2019 zum Champions-League-Titel und stillte ein Jahr später mit dem ersten Meistertitel nach 30 Jahren die ganz große Sehnsucht der Fans.
„Er kannte den Klub besser als ich ihn im Moment kenne. Aber was ich vom ersten Tag an hier bemerkt habe, ist, dass der Meistertitel die speziellste Trophäe ist, die wir gewinnen können“, sagte Slot. „Das in der schwierigsten Liga der Welt zu schaffen, noch dazu in einer Zeit, in der es immer schwerer wird, ist sehr besonders.“
Slot schreibt Geschichte
Gleich in seiner Debütsaison trat der 46-jährige Niederländer damit ein Stück weit aus dem Schatten seines Vorgängers. Dabei gab es im vergangenen Jahr durchaus Vorbehalte, als Liverpool die Verpflichtung des damaligen Trainers von Feyenoord Rotterdam bekannt gab.
Schließlich war Slot vor allem international ein unbeschriebenes Blatt, Liverpool ist seine erste Auslandsstation. Nun schrieb er als erster niederländischer Meistercoach in der Premier League gleich mal Geschichte.
Nebenbei ist Liverpool mit dem 20. Meistertitel zusammen mit Erzrivale Manchester United jetzt wieder englischer Rekordmeister. Ein großer Erfolg, der Liverpools Enttäuschungen in der Champions League und im FA Cup in dieser Saison in den Hintergrund rücken lässt.
„Jürgen zu ersetzen, war eine große Aufgabe. Aber Arne hat es auf seine Art und Weise geschafft“, sagte Kapitän und Landsmann Virgil van Dijk.
Klopp begeisterte mit seiner leidenschaftlichen Art die Massen. Slot gilt eher als nüchterner, etwas unterkühlter Zeitgenosse.
„The Cool One“ statt „The Normal One”
„Ich finde die Art und Weise, wie er das gemacht hat, absolut phänomenal“, sagte der frühere Liverpool-Profi Jamie Redknapp bei Sky. „Er ist ein super cooler Typ. Als Mourinho kam, war er ‚The Special One‘. Dieser Typ ist ‚The Cool One‘. Er lässt sich nicht aus der Fassung bringen."
Klopp stellte sich damals bekanntlich als „The Normal One“ in Liverpool vor. Sein „Heavy-Metal-Fußball“ auf dem Rasen war zwar erfolgreich, aber auch intensiv und kraftraubend.
Aktuell geht ein Meme viral, in dem Klopp zum Tiger mutiert und auf seine Bilanz im Vergleich zu Slots blickt. 2019 reichten Liverpool selbst 97 Punkte nicht zum Meistertitel. Und 2022 hatte Klopp mit den Reds mit 92 Zählern das Nachsehen gegenüber dem dominierenden Manchester City.
Liverpool profitiert von schwächelnder Konkurrenz
Dass nun Slot vier Spieltage vor Schluss mit „nur“ 82 Punkten vorzeitig den Titel klarmacht, ist sicher auch der schwächelnden Konkurrenz zu verdanken. Vor allem dem zwischenzeitlichen Absturz von ManCity. Und nicht zuletzt den vermehrten Ausrutschern von Verfolger FC Arsenal.
Doch Liverpools Erfolg kommt keineswegs zufällig. Slot baute auf Klopps Arbeit auf, wählte aber einen eher kontrollierten, besser dosierten Ansatz. Wenn man es aber auf stumpfen Ergebnisfußball auf Kosten des Spektakels reduzieren will, wird man Slots Reds in dieser Saison nicht gerecht.
Das zeigte nicht zuletzt das titelentscheidende fulminante 5:1 gegen Tottenham Hotspur am Sonntag. Einer der Protagonisten: Mohamed Salah. Mit 46 Torbeteiligungen (28 Tore, 18 Assists) in der Premier League spielt der Ägypter die Saison seines Lebens. Salah hat nun mehr Torbeteiligungen (272) in der Premier League als United-Legende Ryan Giggs (271). Salah benötigte dafür allerdings 335 Spiele weniger.
„Man kann die Zahlen sehen. Ich muss jetzt nicht mehr so viel verteidigen. Die Taktik ist eine ganz andere“, verriet Salah ein Erfolgsgeheimnis.
Salah: „… dann werde ich in der Offensive liefern“
Und er berichtete von einem besonderen Gespräch mit Slot. „Ich habe gesagt: ‚Wenn du mich mit der Defensivarbeit in Ruhe lasst, dann werde ich in der Offensive liefern.‘ Und ich bin froh, dass ich das getan habe.“ Und Salah schob hinterher: „Er hat gut zugehört - und man kann die Zahlen sehen.“
Generell sei der Coach sehr ehrlich, sagte Salah noch: „Die Niederländer sind ziemlich streng, aber er hat uns das Leben leichter gemacht.“
Lange galt ein Abschied des Schlüsselspielers zum Saisonende als beschlossene Sache. Doch im April erfolgte die Wende und Salah verlängerte seinen auslaufenden Vertrag doch. Genauso wie Kapitän van Dijk.
Das erfolgreiche Gerüst der vergangenen Jahre bleibt also erhalten, auch wenn der Abgang von Trent Alexander-Arnold zu Real Madrid wohl nicht mehr abzuwenden ist. Doch auf Slot, der bislang ohne große Neuverpflichtungen auskam, wird in absehbarer Zeit ein Umbruch zukommen. Dabei wird sich zeigen, ob „The Cool One“ auch auf lange Sicht aus Klopps Schatten treten kann.